
Vor ziemlich genau 20 Jahren, im Februar 2001, wurde das agile Manifest geboren, welches auch heute noch als die Grundlage der Definition von Agilität dient. Wenn wir uns aber ansehen, wie der Begriff entstanden ist, wird klarer, was denn damit wirklich gemeint war.
Als die damals anwesenden Softwareentwickler die agilen Werte definierten, wollten sie dem Kind einen Namen geben, und einigten sich auf….. Trommelwirbel …. “Manifesto for adaptive Software Development”. Doch leider war der Begriff “adaptive” schon in Verwendung, nämlich im Vorgehensmodell “Adaptive Software Development”. Damit wollte man aber nicht gleichgesetzt oder gar verwechselt werden, weshalb man eben das zweitbeste Ergebnis aus dem zuvor erfolgten Brainstorming nahm und Attribut “adaptive” durch “agile” ersetzte.
Beleuchten wir nun kurz den Begriff “adaptive” - zu deutsch “anpassungsfähig”. Für mich persönlich ist dies die wohl beste Kurzbeschreibung von Agilität.
20 Jahre später zeigte sich, wer agil ist und wer nicht!
Anpassungsfähigkeit in der Praxis
Als im März 2020 viele Betriebe schließen mussten, erfolgte zunächst ein branchenübergreifender Aufschrei. Nachdem der erste Schock über die von der Regierung verhängten Maßnahmen verdaut war, kristallisierte sich plötzlich eine Welle von agilen Unternehmen heraus, die kurzerhand ihr Geschäftsmodell an die neue Situation angepasst haben.
Während sich die einen Einzelhändler über den Onlinehandel ärgerten, machten es ihm andere einfach nach und begannen, selbst ihre Waren online zu verkaufen. So wurden Bücher in Wien von nun an nicht mehr im beliebten Buchladen abgeholt, sondern mit dem Moped noch am selben Tag zugestellt.
Weil man das alljährliche Ostermenü seinen Stammgästen nicht in der Gaststube servieren durfte, bot man eben Abholboxen an. Inklusive Anleitung zum eigenständigen Finalisieren des Menüs. Und wenn der Gast nicht zum Essen kommen kann, dann muss das Essen eben zum Gast, und kurzerhand wurde das Liefernetzwerk in ganz Österreich stark ausgebaut.
Der Heurige bot seine Jause in einer Weinkiste inklusive Kostproben des neuen Jahrgangs an, der Friseur bot online Kurse zum selber Schneiden an, und der Fitnesscoach hielt die Crossfit-Stunde per Videokonferenz ab.
All das sind wunderbare Beispiele von Agilität. Man passt sich an neue Gegebenheiten an. Zugegeben, viele konnten damit in der Corona-Krise ihren wirtschaftlichen Schaden nicht vollständig kompensieren, jedoch haben sich für viele neue Geschäftsfelder ergeben, von denen sie noch lange über die Krise hinaus profitieren werden.
Doch was braucht es für diese Anpassungsfähigkeit? Reichen die berühmten Modelle wie Scrum etc. aus? Reicht es, wenn ich mich nach den Agilen Prinzipien richte? Die Antwort ist ein klares Nein. Zunächst braucht man das richtige Mindset.
Das Agile Mindset
Ein Mindset kann man sich vorstellen wie eine Geisteshaltung, oder eine Grundeinstellung. Es geht also darum, wie wir denken, bzw. welches Denken unser Handeln bestimmt. Eine offizielle Definition für dieses Mindest findet man nicht, und aus unterschiedlichen Quellen erhält man unterschiedliche Antworten. In Scrum sind zumindest 5 Begriffe als Werte definiert, die ein guter Anhaltspunkt sein können.
Doch lassen Sie uns gemeinsam versuchen, anhand der oben angeführten Beispiele eine paar Begriffe aus dem Denken dieser Menschen abzuleiten.
„Wir lernen aus unseren Fehlern“
Ich denke, dass die persönliche Haltung zum „Fehler machen“ einer der entscheidendsten Faktoren ist, ob ein Unternehmen anpassungsfähig ist oder nicht. Hier gilt natürlich die Grundhaltung des ganzen Unternehmens, die in der Regel von den Führungskräften vorgelebt werden muss. Aber hier muss auch jede(r) Einzelne an sich arbeiten - eigene Fehler offen anzusprechen und einzugestehen, ist oft nicht einfach. Ist der Fokus aber stets darauf gelegt, was man daraus lernen kann, sieht die Sache gleich ganz anders aus, denn dann können wir an den gemachten Fehlern wachsen. Eine gute Fehlerkultur ist essenziell, denn sie lädt zum Experimentieren ein - und erst durch dieses Ausprobieren entstehen die richtig guten neuen Ideen.
„Gemeinsam sind wir stärker“
Nur Unternehmen, in denen alle, egal in welcher Position und Rolle, an einem Strang ziehen, werden langfristig am Markt erfolgreich bestehen. Dafür braucht es vor allem Klarheit im Unternehmen - wer sind wir und warum sind wir hier? - Also eine klare Vision und Mission. Hinzu kommt die Bereitschaft aller, ihr Wissen zu teilen und voneinander zu lernen, sowie einander zu helfen und aktiv um Hilfe zu bitten.
Eine Kultur des Gegeneinanders und Machtkämpfe innerhalb eines Unternehmens sind nicht nur Agilitäts-, sondern auch Innovationskiller.
“Wir sind offen für Neues”
Der Satz “ich glaube nicht, dass das funktionieren wird” ist ein wahrere Agilitäts-Killer. Denn er führt häufig dazu, dass neue Dinge niemals ausprobiert werden. Doch denken Sie immer daran: nur weil Sie etwas noch nicht kennen oder Sie sich etwas einfach überhaupt nicht vorstellen können, heißt das noch lange nicht, dass es nicht funktionieren wird. Natürlich ist die oben genannte Fehlerkultur eine Grundvoraussetzung für diese Offenheit. Eine ordentliche Portion Mut gehört meistens auch dazu - „Geht nicht - gibt’s nicht“.
„Wir sind uns für andere Arbeiten nicht zu schade“
In einem Unternehmen gibt es Rollen und Aufgaben, und so soll es auch sein. Allerdings spreche ich hier eine Grundhaltung an, die enorm wichtig für die Agilität eines Unternehmens ist: nämlich die Bereitschaft, überall dort auszuhelfen, wo gerade meine Leistung gebraucht wird, auch wenn es nicht zu meiner Jobbeschreibung passt oder zu meinen Stärken zählt. Stellen Sie sich vor, bei einem Fußballmatch bekommt der Verteidiger die Gelegenheit, mit dem Ball auf das leerstehende Tor des Gegners zu schießen. Da er aber Verteidiger ist, wendet er sich mit den Worten „das muss ein Stürmer machen, ich bin hier nicht zuständig“ ab. Undenkbar, oder? Doch wie oft sehen wir vergleichbares Verhalten im Job?
„Jede(r) bringt sich aktiv ins Unternehmen ein”
Und jede(r) im Unternehmen ist dazu auch berechtigt, ja sogar ermutigt. Agile Unternehmen werden von den Mitarbeitern aktiv mitgestaltet und es gibt ausreichend Möglichkeiten für alle, sich entsprechend einzubringen. Ideen müssen gehört werden, und ggf. auch umgesetzt werden. Dies sorgt für Engagement und Loyalität zum Arbeitsplatz und führt gleichzeitig dazu, dass das Unternehmen ständig von seinen Mitarbeitern lernt - und umgekehrt.
Prinzipien, Modelle und weitere Definitionen
Unternehmen, die es schaffen, eine Kultur zu etablieren, die auf dem oben beschriebenen Mindset basieren, können sich anhand der agilen Werte und Prinzipien orientieren und anfangen, darauf basierende Modelle wie Scrum für Ihre Prozesse einzuführen.
Sollten Sie versuchen, anhand dieser Modelle ein agiles Mindset zu etablieren, werden Sie ziemlich sicher daran scheitern. Diesen Fehler in Scrum haben nämlich schon zahlreiche Unternehmen gemacht, und die Learning daraus sind weitreichend bekannt.
Die folgenden Quellen beschreiben die Grundpfeiler der Agilität:
- Das Manifest für agile Softwareentwicklung
- Die 12 Prinzipien agiler Softwareentwicklung bei Objectbay
- Die 5 Scrum Werte
- Praktiken der gängigsten Methoden wie Scrum, Kanban oder XP
- Unterscheidung zwischen Wasserfall oder agiler Softwareentwicklung nach Scrum
- Agiles Vorgehen in der Softwareentwicklung
Das Scrum Framework als How-To-Scrum Poster von Objectbay
Alles über die Rollen, Artefakte und Events rund um Scrum hier zum Downloaden.